Abstract
Hintergrund & Ziel: Schmerzen werden mit einer hohen Priorität im Gehirn verarbeitet. Sie steuern ganz wesentlich das Verhalten, in dem sie durch akute Stimulation Vermeidungsverhalten und Lernprozesse in Gang setzen, die vor Schädigung schützen. Wenn eine Schädigung eingetreten ist, bewirken die Schmerzen Schonung und die Suche nach Linderung. Die neuronale Aktivität des schmerzverarbeitenden Systems ist dabei eng mit exterozeptiven und interozeptiven Wahrnehmungsvorgängen assoziiert, sie kovariiert mit emotionalen Vorgängen und beeinflusst kognitive Vorgänge. Aus der Perspektive klinischer Schmerzerkrankungen haben die sensorischen, emotionalen und kognitiven Anteile ein unterschiedliches Gewicht. Aber auch wenn die Schmerzursache zunächst rein nozizeptiv ist, beispielsweise beim Schmerz durch eine Verbrennung, ist immer das gesamte Schmerzsystem aktiviert. Neuronal setzen differenzierte Mechanismen der sensorischen Projektion und nachfolgend der absteigenden Hemmung ein. Das emotionale System steuert die Vermeidung und Kognitionen vergleichen die akute Läsion mit schon erlebten Verläufen der Heilung, antizipieren also den zu erwartenden Heilungs- bzw. Leidensprozess. Methode: In diesem Beitrag werden die psychosozialen Faktoren und Modelle diskutiert, deren Einfluss auf das Schmerzerleben nachgewiesen wurde. Die Konzepte reichen von psychodynamischen Überlegungen bis hin zu neurobiologischen experimentellen Befunden. Psychische und somatische Aspekte des Schmerzes in einem System zu denken, ist ein wesentliches Anliegen des Beitrages. In der historischen Perspektive wird allerdings eher die Trennung zwischen psychischen und somatischen Konzepten hervorgehoben, wobei mehr oder weniger jede der beiden Positionen von sich behauptet, das gesamte Phänomen Schmerz in den Blick zu nehmen. Erst die Gate-Control-Theorie ermöglichte eine integrierte Betrachtung und das ist ihr besonderes Verdient, wenn auch viele daraus abgeleitete Hypothesen sich nicht bestätigen ließen. Mit dieser Theorie wurde auch das wissenschaftliche Fenster zum chronischen Schmerz geöffnet, der nur noch multitheoretisch verstanden werden kann. Die neurokognitive und psychoendokrinologische Schmerzforschung untermauert die empirisch belegten Annahmen über psychologische Faktoren am Schmerzgeschehen.