Abstract
Die Fraktionen des Zürcher Kantonsrats zeichneten sich über die ganze Legislatur 2011 bis 2015 durch eine ausgesprochen hohe Geschlossenheit in ihrem Abstimmungsverhalten aus. In sämtlichen Fraktionen stimmen alle Fraktionsmitglieder in nahezu allen Abstimmungen gleich. Es kommt nur ausnahmsweise vor, dass ein Fraktionsmitglied von der Position der Mehrheit seiner Fraktion abweicht oder sich der Stimme enthält.
Die Fraktionen des Zürcher Kantonsrats können darum weitgehend als kollektive Akteure betrachtet werden. Das individuelle Abstimmungsverhalten des einzelnen Ratsmitglieds deckt sich in mindestens 95 Prozent aller Abstimmungen mit dem seiner Fraktion. Das Konfliktpotenzial besteht vor allem zwischen und nicht innerhalb der Fraktionen.
Die Fraktionen des Zürcher Kantonsrats unterscheiden sich somit deutlich von den Fraktionen im Nationalrat, die ein weniger kohärentes Abstimmungsverhalten aufweisen. Auf Bundesebene treten die Fraktionen der traditionellen bürgerlichen Parteien, die FDP und die CVP, in vielen Abstimmungen nicht geschlossen auf. Im Zürcher Kantonsrat ist dies hingegen fast nie der Fall. Die Fraktionsgeschlossenheit dieser beiden Fraktionen lag in allen vier Amtsjahren immer bei 99 Prozent oder höher.
Im Nationalrat stimmen die Fraktionen am rechten sowie am linken Rand des politischen Spektrums in der Regel geschlossener ab als die Fraktionen der politischen Mitte. Nicht so in Zürich. Im Durchschnitt treten die Polparteien sogar etwas weniger geschlossen auf als die politische Mitte. Wobei an dieser Stelle gesagt werden muss, dass auch deren Geschlossenheit auf einem sehr hohen Niveau von über 95 Prozent liegt.
Die Faktoren, welche das individuelle Abstimmungsverhalten von Mitgliedern eines nationalen Parlaments erklären, scheinen auf der kantonalen Ebene – soweit sie überprüft werden konnten – einen viel weniger starken Einfluss auf den Positionsbezug eines Parlamentsmitglieds zu haben. So spielen der Wahlbezirk, die Urbanität des Wohnortes eines Kantonsratsmitglieds, die Kommissionszugehörigkeit, das Wahlresultat des Parlamentsmitglieds oder ein geplanter Rücktritt im Gegensatz zur Parteizugehörigkeit praktisch keine Rolle, wenn es darum geht, das Abstimmungsverhalten zu erklären.
Die Analyse des Abstimmungsverhaltens des Zürcher Kantonsrats während der Legislatur 2011-2015 zeigt eindrücklich auf, dass empirische Befunde aus dem Nationalrat nicht ungeprüft auf die kantonale Ebene übertragen werden können. Dies ist eine wichtige Erkenntnis für weiterführende Untersuchungen zum Abstimmungsverhalten kantonaler Legislativen..