Abstract
Da der Koran und die Sunna – die Primärquellen des islamischen Rechts – eine begrenzte Quantität an Rechtsargumenten aufweisen und somit nicht alle Fragen des Lebens abdecken, greifen Rechtsgelehrte seit je auf andere Quellen und Methoden zurück, um neu erschienene Fragen und Tatbestände im schariarechtlichen Rahmen behandeln zu können. Eine dieser Quellen ist die maṣlaḥa mursala. Über ihre Anwendung als autonome Rechtsquelle lösten sich seit ihrer Entwicklung zahlreiche kontroverse Debatten aus, die sich bis heute fortsetzen. Der vorliegende Beitrag zeigt, wie diese Quelle als im Mittelalter entwickeltes Konzept im 20. und 21. Jahrhundert verstanden und bei der Erteilung von Rechtsgutachten umgesetzt worden ist und wird. Für diesen Zweck werden die Ansätze dreier Autoren aus unterschiedlichen Epochen untersucht: al-Ġazālī und aṭ-Ṭūfī aus der mittelalterlichen Periode und al-Qaraḍāwī aus der Gegenwart.