Abstract
Die Rede von Gottes Zorn ist nicht erst für die heutige Zeit eine grosse Herausforderung; seit Marcion wurde das Theologoumenon vom Zorn Gottes im Alten Testament kritisiert und in der Exegese verschieden interpretiert. Die vorliegende Studie stellt in einem ersten Teil die verschiedenen Deutungsansätze der alttestamentlichen Exegese seit Paul Volz zusammen. Dabei zeigt sich, dass der Zorn Gottes in der heutigen Exegese meistens als Gegenbegriff zu Liebe und Gnade interpretiert wird, wogegen die ältere Exegese meist einen Anschluss an die Bundestheologie suchte. Es stellt sich die Frage, ob diese Deutungen und Typisierungen des Zornes Gottes genügen können.
Diese Frage wird in einem zweiten Teil am Beispiel der einschlägigen Psalm vertieft. Dabei werden drei Grundtypen des Zornes Gottes erkennbar: 1. Zorn Gottes als Reaktion auf menschliche Schuld, 2. Reaktion Gottes auf die Schuld der Feinde, was die Rettung der Bedrängten zur Folge hat, und 3. Zorn Gottes, der unverständliches Leiden deutet, indem er selbst diese Leidenserfahrungen mit Gott in Beziehung setzt.
Diese am Beispiel der Psalmen gewonnene Typologie wird in einem dritten Teil in den Kontext des Alten Orients und des ganzen Alten Testaments eingeordnet. Die drei Redeweisen vom Zorn Gottes finden sich hier wieder und lassen sich bestätigen. Ein vierter Typ thematisiert den Zorn Gottes als Reaktion auf die Verletzung des Heiligen.
Daraus wird im letzten Teil des Buchs eine bibeltheologische Konsequenz gezogen: Die Rede vom Zorn Gottes ist nicht zuerst im Gegensatz zur Rede von der Liebe Gottes, sondern besser als ein Aspekt der Gerechtigkeit Gottes zu verstehen. Die Rede vom Zorn Gottes erweist sich letztlich als Ausdruck der Hoffnung, insofern der als zornig erfahrene Gott als gerechter Gott angesprochen wird, von dem rettendes Eingreifen erwartet werden kann. Insofern ist sie für viele alttestamentliche Texte unverzichtbar und in vielen Fällen ein Schlüssel zur Deutung der Exilserfahrung Israels.