Abstract
Etwa 20–25 % aller Personen und etwa 90 % aller akut in einer Klinik für Innere Medizin hospitalisierten Patienten weisen gleichzeitig mehrere akute oder chronische Erkrankungen auf. Sie sind multimorbid. Die Begegnung mit multimorbiden Patienten ist die häufigste Situation im Gesundheitssystem geworden. Theoretisch besteht bei Multimorbidität eine kaum benennbare Anzahl möglicher Erkrankungskonstellationen. Zudem nehmen die Wahrscheinlichkeit von Interaktionen zwischen Erkrankungen („disease-disease interactions“ [DDI]) und die Komplexität mit jeder hinzukommenden Erkrankung überlinear zu. Multimorbidität tritt häufig in typischen dyadischen, triadischen oder höheren charakteristischen Kombinationsmustern auf, in „Krankheitssclustern“, z. B. aus vaskulären Risikofaktoren, Herz- und Lungenerkrankungen, Frailty (Gebrechlichkeit) und Demenz oder psychiatrischen und somatischen Erkrankungen. Solche Kombinationen führen zur Verschlechterung der Gesamtprognose und oft zu schwierig handhabbaren bis lebensgefährlichen DDI. Beispiele für DDI sind: Antikoagulation und gleichzeitige schwere Blutung, Schmerz und Hypertonie oder Niereninsuffizienz, Depression und verminderte Medikamentencompliance, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung und Depression, Frailty und Psychopharmaka sowie häufige Stürze, psychiatrische und somatische Erkrankungen in Kombination. Solche DDI sind häufig. Trotzdem gibt es dazu nur wenige Studien und klinische Leitlinien. Die Betreuung multimorbider Patienten basiert auf Leitlinien zu meist gut untersuchten Einzelerkrankungen. Multimorbidität und schwerwiegende DDI sind in diesen meist nicht thematisiert. Klinische Leitlinien können so ungewollt die Sicherheit von mehrfach erkrankten Personen gefährden. Zudem geraten Ärzte bei Therapieentscheidungen mit Bezug auf DDI in belastende Dilemmata.