Abstract
Wieso noch einmal dieses Thema? Ist nicht längst schon alles gesagt? Dass die Dichter zu viel lügen, so Platon in seinem utopischen Entwurf des besten Staates, der «Politeia», dass die Dichter sich an das Wahrscheinliche, den «Common Sense», das Realistische, zu halten haben, so Horaz in seiner «Ars poetica», um glaubwürdig zu sein, dass die Fiktion auch wahr ist, so Bodmer und Breitinger im 18. Jahrhundert, und und und … Wieso also noch einmal dieses Thema? Weil die Frage nach dem Verhältnis der Literatur zur Wahrheit und die Erkenntnis, die der Leser, die Leserin für sich gewinnen kann, komplizierter und komplexer sind, als es die Theorie einen glauben lassen will. Und so wird sich der Vortrag auf Spurensuche nach der jeweils spezifischen Wahrheit und spezifischen Erkenntnis exemplarisch ausgewählter literarischer Texte machen. Ihnen allen gemeinsam ist der thematische Bezugspunkt der Flucht. Das Auf-der-Flucht-Sein ist eine existentielle Erfahrung des Menschen, die nicht zwingend konkret, physisch wie psychisch, mit Flucht und Emigration aus einem Land, das man als Heimat ansieht oder angesehen hat, und Immigration in ein Land, das fremd ist oder fremd scheint und fremd wirkt, zu tun hat, sondern mit dem Mangel des Menschen an Obdach, des Menschen konkret und ganz generell. Das immer wieder bewusst zu machen und für den Leser nachvollziehbar zu erzählen, ist eine der vielen möglichen Wahrheiten, die Literatur offenbar macht.