Abstract
Das exegetische Verständnis von Gen 11,1-9 steht im Banne eines Symbols, des 'Turmbaus zu Babel'. Der erste Teil der vorliegenden Arbeit bietet deshalb einen Abriss der Interpretationsgeschichte: Wie ist das eingängige Konglomerat aus Archäologie und Theologie entstanden, dem zufolge Gen 11,1-9 eine vom Bau einer babylonischen Ziqqurat handelnde Erzählung über die widergöttliche Hybris der Menschen darstellen soll?
Der zweite Teil setzt bei Semantik und Motivkritik an und bietet eine neue Interpretation der Erzählung vor dem Hintergrund altorientalischer Weltherrschaftsrhetorik. Entscheidend dafür ist die Beobachtung, dass das Motiv der "eine Rede" sich in Kombination mit anderen Motiven von Gen 11,1-9 (Baumotiv, "Namenmachen", "ein Volk") in assyrischen Königsinschriften findet, besonders profiliert in Inschriften Sargons II., die vom Bau seiner neuen Hauptstadt Dur-Sarrukin handeln. Die kompositions- und literarkritisch rekonstruierbare Grundschicht von Gen 11,1-9* kann vor diesem Hintergrund als Reflexionserzählung angesichts des mit Sargons Schlachtentod gescheiterten Baus von Dur-Sarrukin verstanden werden. Ihr Thema ist die Verhinderung eines weltherrschaftlichen Bauprojekts durch JHWH, womit (concretum pro abstracto) ein israelitisch-judäischer Verfasser gleichzeitig eine für Zeitgenossen unmissverständliche Kritik an Weltherrschaftsansprüchen überhaupt anmeldet.
Angesichts der gigantischen Baumassnahmen Nebukadnezzars II. in Babylon ist die Erzählung in exilischer Zeit im Rahmen einer satirischen relecture auf die Hauptstadt des neuen Grossreichs übertragen worden. Durch den Einbau in die vor-'priesterschriftliche' Urgeschichte wurde daraus dann eine Episode der Frühgeschichte der Menschheit. Aber noch in persischer Zeit hat eine letzte Bearbeitung die Erzählung 'politisch-theologisch' verstanden, als Ätiologie einer positiv durch Sprachen- und Völkervielfalt gekennzeichneten Weltordnung.