Abstract
Nach zwei Jahrzehnten kontroverser Debatten um die Entstehung von Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk stehen sich unvermittelt verschiedene übergreifende Quellen-, Block- und Schichtenmodelle gegenüber. In dieser Situation können nur erneute Detailanalysen ausgewählter Textbereiche eine Klärung schaffen. Die vorliegende Studie leistet eine solche anhand der ersten Kapitel des Josuabuches, denen – im Überschneidungsbereich von Hexateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk – eine Schlüsselstellung in der aktuellen Debatte zukommt.
Sie zeigt, dass die ältesten Fassungen der Landnahmeerzählungen (A), die das Land als Jhwhs vorgängige Gabe interpretieren, als Teil eines umfassenderen vordeuteronomistischen Werkes zur Verarbeitung der akuten Landverluste der assyrischen Zeit entstanden sind. Sie wurden frühestens in josianischer Zeit auf Grund der redaktionellen Rückübertragung der Lade ins Deuteronomium um Priester und Lade (B) erweitert und in neubabylonischer Zeit um die Steinaufstellungs- und die Rahaberzählung (C) ergänzt, die eindrücklich den Zusammenhang zwischen Glauben und Überleben betont. Erst eine postpriesterschriftliche Redaktion (RP) versuchte, Beschneidung und Pesach-Massot-Fest als Vorbedingungen für die nachexilische Restauration schon in der Landnahmezeit zu verankern. Eine weitere nachexilische Bearbeitung (Rä) war bemüht, vermeintliche Spuren der Landnahmezeit ätiologisch mit den Erzählungen in Verbindung zu bringen. Und die jüngste Hand (Rchr) führte schliesslich selbst den Grundstock des nachexilischen Tempelschatzes auf das Beutegut von Jericho zurück.
Die Erzählungen zu Beginn des Josuabuches sind hiernach als rein literarische Bildungen eines übergreifenden Geschichtswerkes zu verstehen. Das ätiologische Moment stand nicht am Anfang, sondern markiert das Ende der Literargeschichte und leitete eine Entwicklung ein, die in spätantiken Pilgerberichten ihre bruchlose Fortschreibung finden sollte.