Abstract
Die dem ersten Band des Clélie-Romans (1654–1660) von Madeleine de Scudéry beigefügte Carte de Tendre begleitet Narration und Vorstellung einer neuen Liebeskonzeption. Entworfen und spielerisch diskutiert in den französischen Salons des 17. Jahrhunderts, steht diese allegorische Landkarte, welche Ähnlichkeiten mit den Umrissen Frankreichs aufweist, im Dienst eines Diskurses, der die Zärtlichkeit, genauer die amitié tendre, als neues Ideal entwickelt und gegen die Auffassung der amour passion abzugrenzen trachtet. Die imaginierte Liebesgeographie unterstützt die pädagogische Intention der Romanheldin Clélie, welche ihren Liebhabern verschiedene Wege – sowie mögliche Irrwege – von der Ortschaft Nouvelle Amitié nach dem Ziel Tendre (›zärtlich‹) aufzeigen und räumlich darstellen will. Die Landkarte wird hier zum Medium einer Initiationsreise und illustriert die Veränderungen der Gefühlskultur im 17. und 18. Jahrhundert.
Der Vortrag geht der Frage nach, ob das neuartige Zärtlichkeitsideal der gesellschaftlichen Affektkontrolle und Verhaltenskodierung dient oder vielmehr Ausdruck eines stärkeren individuellen Bedürfnisses nach Liebeserfüllung ist. Dabei werden wir auch die Geschlechterrolle problematisieren und die Prägungen der Salonkultur untersuchen.