Abstract
Als sich im Verlauf der 1980er Jahre vor allem im englischen Sprachraum die postkoloniale Theorie als eigenes interdisziplinäres Feld etabliert, kristallisiert sich 'Diskurs' schnell als dessen zentrales Konzept heraus. Im Fahrwasser des 'linguistic turn' der 1960er Jahre fokussiert die postkoloniale Theorie, deren bekannteste VertreterInnen überwiegend aus den Literaturwissenschaften stammen, nicht primär die materiellen Bedingungen und Faktoren des Kolonialismus, sondern das, was als 'kolonialer Diskurs' apostrophiert wird. Wie in vielen anderen Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften lässt sich auch hier die Tendenz beobachten, das Diskurskonzept pauschal mit dem Namen Michel Foucault zu verbinden, selbst dann, wenn bei genauerer Betrachtung nur wenige Übereinstimmungen mit den theoretischen Prämissen des französischen Philosophen bestehen. Einen wesentlichen Anteil daran hat der palästinensisch-amerikanische Komparatist Edward Said, der sich zu Beginn seiner einflussreichen Studie "Orientalism" von 1978 programmatisch auf "Michel Foucault's notion of a discourse" beruft. Im Anschluss an Said definiert die postkoloniale Theorie der 1980er Jahre den kolonialen Diskurs als eine Strategie zur Legitimation kolonialer Herrschaft. Eine nach diesem Ansatz betriebene Textanalyse befragt sprachliche Repräsentationen auf ihre "Zuträglichkeit für Praktiken des Kolonialismus". Wie fruchtbar dieser Ansatz ist, belegt eine inzwischen unüberschaubar gewordene Anzahl von Arbeiten, die "die imperiale Verortung" von Texten in den Blick nehmen. Das Diskurskonzept hat seinerseits einen äußerst produktiven Diskurs generiert, der ein schier unerschöpfliches Forschungsgebiet erschlossen und die Blickweise auf Kolonialliteratur (im weitesten Sinne des Wortes) nachhaltig verändert hat. Zugleich führte er jedoch auch zu neuen Begrenzungen, die teilweise – wenn auch nicht allein – damit zusammenhängen, dass wichtige Elemente von Foucaults Diskurstheorie bei deren Rezeption vernachlässigt wurden. Anband eines kurzen Parcours durch Foucaults relevanteste Schriften – die oft als Hauptwerk bezeichnete Monographie "Die Ordnung der Dinge" (1966), die drei Jahre später nachgereichte methodologische Grundlagenschrift "Archäologie des Wissens" (1969) sowie die im Anschluss daran entstandenen Vortragstexte "Was ist ein Autor?" (1969) und "Die Ordnung des Diskurses" (1971) – soll dies im Folgenden verdeutlicht werden.