Abstract
Die im vorliegenden Bericht präsentierten Auswertungen gehen dem Abstimmungsverhalten der Mitglieder des Zürcher Kantonsrats während der ersten drei Amtsjahre der Legislaturperiode von 2015 bis 2019 auf den Grund.
Die politischen Gewichte im Zürcher Kantonsrat haben sich nach den Wahlen im Frühjahr 2015 verschoben, da die FDP acht Mandate dazu gewann1, die Grünen und die GLP hingegen deutliche Verluste hinnehmen mussten.
Wie die nachfolgenden Analysen im Detail aufzeigen, hatten diese politischen Veränderungen aber keinen wesentlichen Einfluss auf das grundsätzliche Abstimmungsverhalten der Fraktionen im Kantonsrat. Wie bereits in der Amtsperiode von 2011 bis 2015 treten die Fraktionen des Zürcher Kantonsrats auch in der laufenden Legislatur sehr einheitlich auf. Im Durchschnitt und über alle durchgeführten Abstimmungen betrachtet liegt die Geschlossenheit einer Fraktion sogar noch leicht höher als in der Vergleichsperiode der vorangegangenen Legislatur. In sämtlichen Fraktionen stimmen nahezu alle Fraktionsmitglieder bei fast allen Abstimmungen einheit-lich ab. Es kommt im Zürcher Kantonsrat folglich nur ausnahmsweise vor, dass ein Fraktions-mitglied von der Position der Mehrheit der eigenen Fraktion abweicht.
Die bereits in der letzten Legislatur getätigte Feststellung, dass es sich bei den Fraktionen des Zürcher Kantonsrats um kollektive Akteure handelt, kann somit für die laufende Legislatur klar bestätigt werden. Das individuelle Abstimmungsverhalten des einzelnen Ratsmitglieds deckt sich auch in der laufenden Legislatur in mindestens 97 Prozent aller Abstimmungen mit jenem der entsprechenden Fraktion. Es ist im Zürcher Kantonsrat nur selten der Fall, dass Konflikte, die innerhalb von Fraktionen allenfalls bestehen, beim Abstimmungsverhalten im Plenum erkennbar werden.
Berechnet man, wie häufig eine Fraktion in den vergangenen drei Amtsjahren im Kantonsrat zu den Abstimmungsgewinnern zählte, sind die FDP und die GLP am erfolgreichsten. Fast drei Viertel aller Abstimmungen wurden im Sinne dieser zwei Fraktionen entschieden.
Die häufigsten Koalitionen in den ersten drei Amtsjahren der laufenden Legislatur finden sich zwischen der Fraktion der Grünen und jener der AL, die in der vergangenen Legislatur noch eine Fraktionsgemeinschaft gebildet hatten. Ebenfalls sehr häufig stimmt die Fraktion der AL mit jener der SP ab. Auf der bürgerlichen Seite weist, wie schon in der Vorperiode, die FDP und die CVP in über achtzig Prozent aller Abstimmungen ein übereinstimmendes Abstim-mungsverhalten auf. Die zweithäufigste, vergleichbare Koalition ist auf der rechten Seite des politischen Spektrums diejenige der SVP mit der EDU, welche sich ebenfalls in mehr als vier von fünf Abstimmungen einig sind.
Wie bei Urnengängen spielt auch beim Abstimmungsverhalten im Kantonsrat die Beteiligung an den Abstimmungen eine wesentliche Rolle. Eine diesbezügliche Auswertung der Teilnahmehäufigkeit nach Fraktionen zeigt auf, dass die Polparteien auf der linken (GP, SP und AL) und der rechten Seite (SVP, EDU) eine höhere durchschnittliche Beteiligung an den Abstimmungen aufweisen, als die Parteien aus dem Mitte-Rechts-Spektrum (BDP, GLP, CVP, FDP und EVP). Selbstverständlich gibt es zahlreiche Gründe für Ratsmitglieder, gerade in einem Milizparlament, nicht an Abstimmungen teilzunehmen. Hinzu kommt, dass der Zürcher Kantonsrat, beispielsweise bei Entscheiden zur vorläufigen Unterstützung einer Parlamentarischen Initiative, mit Quoren arbeitet, bei denen nur die Ja-Stimmen relevant sind und deswegen die Opposition oft gar keine Stimme abgibt. Es gilt festzuhalten, dass sich das Stimmengewicht einer Fraktion nicht nur nach deren Grösse und deren Geschlossenheit, sondern auch nach der Beteiligung ihrer Mitglieder an Abstimmungen bemisst.
Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen in Parlamenten auf kantonaler Ebene ist weniger gut analysiert als beispielsweise dasjenige des Nationalrats. Was den Kanton Zürich betrifft, zeigen sich im Vergleich mit dem Nationalrat deutliche Unterschiede. Die Fraktionen unter der Bundeshauskuppel weisen im Durchschnitt ein weniger geschlossenes Abstimmungsverhalten auf als diejenigen im Rathaus an der Limmat, obwohl auch die Fraktionsgeschlossenheit in Bern in der aktuellen Legislatur im Vergleich zu früheren Legislaturperioden leicht angestiegen ist. Es gibt auch einige andere Unterschiede: Auf Bundesebene treten die Fraktionen der traditionellen bürgerlichen Parteien FDP und CVP in vielen Abstimmungen wenig geschlossen auf. Im Zürcher Kantonsrat ist dies hingegen fast nie der Fall. Die Fraktionsgeschlossenheit dieser beiden Fraktionen des Kantonsrats lag auch in den ausgewerteten drei ersten Amtsjahren der laufenden Legislatur – genauso wie in den vier Amtsjahren der vergangenen – immer bei mindestens 99 Prozent. Dagegen stimmten im Nationalrat die Fraktionen am rechten sowie am linken Pol des politischen Spektrums in der Regel geschlossener ab als die Fraktionen der politischen Mitte. Nicht so in Zürich. Im Durchschnitt treten die Zürcher Polparteien sogar etwas weniger geschlossen auf als die politische Mitte; wobei an dieser Stelle betont werden muss, dass auch deren Geschlossenheit auf einem sehr hohen Niveau liegt.
Die Faktoren, welche zu individuellem Abweichen von der Fraktionsposition führen, scheinen auf der kantonalen Ebene – soweit sie überprüft werden konnten – einen viel weniger starken Einfluss zu haben als in anderen Parlamenten. So spielen der Wahlbezirk, die Urbanität des Wohnortes eines Kantonsratsmitglieds, die Kommissionszugehörigkeit, das Wahlresultat des Parlamentsmitglieds oder eine geplante Kandidatur für ein höheres Amt praktisch keine Rolle, wenn es darum geht, das Abstimmungsverhalten zu erklären. Auch eine beabsichtigte Kandidatur bei den Wahlen vom Frühjahr 2019 hat keinen Einfluss auf das fraktionsabweichende Abstimmungsverhalten. Der einzige Faktor, der auf analytischer Ebene das häufige fraktions-abweichende Verhalten im Zürcher Kantonsrat erklären kann, ist die Fraktionszugehörigkeit zu den Grünen.