Abstract
Die Medienberichterstattung zur Coronavirus-Pandemie wurde in der Öffentlichkeit immer wieder massiv kritisiert. Tatsächlich war es in Anbetracht der riesigen Berichterstattungsmenge zur Pandemie (bis zu 70% der Gesamtberichterstattung im untersuchten Zeitraum) einfach, einzelne Beispiele für Berichterstattungs-mängel zu finden. Abstrahiert man von solchen Einzelfällen, so kann die Leistung von Schweizer Medien während der Pandemie jedoch tendenziell positiv beurteilt werden. Dies zeigen die Ergebnisse einer manuellen und einer automatisierten Inhaltsanalyse von Schweizer Informationsmedien zwischen Januar und Juni 2020. Die Vielfalt von Themen sowie von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen ist vergleichsweise hoch. Auch lässt sich eine relativ hohe Relevanz der Berichterstattung beobachten, unter anderem weil die Medien auf gesamtgesellschaftliche Folgen der Corona-Pandemie fokussieren und weil sie sich in der Beschreibung der Bedrohung an der Entwicklung der Fallzahlen orientieren. Dennoch weist unsere Analyse auch auf klare Mängel hin. Die Einordnungsleistungen der untersuchten Medien sind wenig ausgeprägt. Die Vielfalt ist ausgerechnet bei den zitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eingeschränkt. Zwar ist die Vielfalt der Stimmen aus der Medizin hoch, aber es gibt kaum Beachtung für wissenschaftliche Positionen aus anderen Disziplinen – und dies, obwohl die Krise fast sämtliche Bereiche der Gesellschaft betrifft. Auch sind bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Diskurs zu COVID-19 Männer stark über- und Frauen stark untervertreten. Eine kritische Diskussion über die Regierung und Behörden sowie deren verordnete Massnahmen ist vorhanden, die Medien wahren insofern eine kritische Distanz. Gerade in der sensiblen Phase vor dem Lockdown erweisen sie sich jedoch als relativ unkritisch und ordnen mögliche Entwicklungen zu wenig ein. Auch zeigt sich – mit Ausnahmen – ein problematischer Umgang mit Zahlen und Statistiken, die insgesamt betrachtet (zu) wenig eingeordnet werden. Es wird längst nicht immer begründet, was die Zahlen aussagen und warum sie verwendet werden. Die Leistungen unterscheiden sich zwischen Medientypen und Medientiteln. Positiv heben sich einige Abonnementsmedien und der öffentliche Rundfunk ab, mit einer besonders hohen Vielfalt von Themen sowie Expertinnen und Experten, einer höheren Relevanz und mehr Einordnungsleistungen. Sonntags- und Wochenmedien sowie der öffentliche Rundfunk wahren gegenüber Behörden und Regierung die grösste kritische Distanz. Boulevard- und Pendlermedien sind in ihrer Berichterstattung weniger vielfältig und neigen tendenziell zu einer Vermittlung von nackten Zahlen ohne Einordnung, doch eine alarmistisch-dramatisierende, nur auf Bedrohung beruhende Berichterstattung bleibt aus.