Abstract
Informelle Betreuungsleistungen durch Angehörige unterschiedlicher familialer Generationen nehmen einen zentralen Stellenwert bei der Sicherstellung des Wohlergehens des Einzelnen ein. Im Zuge des Ausbaus familienpolitischer Arrangements in den Ländern Europas während der letzten Jahrzehnte hat sich die Kompetenz bei der Sicherstellung der Betreuung jedoch immer mehr in Richtung des Wohlfahrtsstaats verlagert. Es stellt sich die Frage, wie Familien auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren und was dies für die Organisation intergenerationaler Betreuungsarrangements bedeutet. Kinderbetreuungsleistungen durch Grosseltern sowie die zeitliche Unterstützung betreuungsbedürftiger Eltern durch ihre erwachsenen Kinder stellen die beiden wichtigsten und verbreitetsten Formen der intergenerationalen Betreuung dar. Die vorliegende Masterarbeit nimmt diese beiden Unterstützungsformen in den Blick und verfolgt dabei die Frage, welche Faktoren das Auftreten regelmässiger intergenerationaler Betreuungsleistungen bedingen. Ausgehend von der Theorie der intergenerationalen Solidarität werden sowohl Bestimmungsgründe der Mikro-Ebene als auch der Makro-Ebene zur Erklärung miteinbezogen. Die Abbildung der kontextuellen Rahmenbedingungen erfolgt anhand spezifischer familienpolitischer Massnahmen sowie anhand kultureller Faktoren in Form vorherrschender Normen und Rollenerwartungen. Anders als bei früheren Untersuchungen werden nicht bloss nationale, sondern auch regionale Kontexte berücksichtigt. Die intergenerationalen Betreuungsleistungen werden mit komparativen Daten des Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) anhand deskriptiver Analysen und logistischer Mehrebenenmodelle empirisch untersucht. Die Verbreitung informeller Betreuungsleistungen durch Familienangehörige unterscheidet sich sowohl zwischen Ländern als auch innerhalb dieser Länder massgeblich. Es stellt sich heraus, dass beide Unterstützungsformen primär durch individuelle Bedarfslagen und Handlungsoptionen bedingt sind. Demgegenüber prägen die kontextuellen Rahmenbedingungen das Auftreten intergenerationaler Betreuung nur geringfügig. Die Befunde verweisen auf ein komplexes und vielschichtiges Zusammenwirken zwischen kulturellen Normen und familienpolitischen Massnahmen. Eine Schlussbetrachtung diskutiert die Implikationen der Befundlage, widmet sich kritisch dem methodischen Vorgehen und identifiziert diverse Anknüpfungspunkte für zukünftige Untersuchungen.