Abstract
Bald als Brutstätten von Rassismus, Kolonialismus und Nationalismus verschrien, bald als Ursprungsorte kulturübergreifender Konvivenz gepriesen, sind die Modernen Philologien nicht erst seit heute Gegenstand kontroverser Diskussionen. In der Tat spannen sich ihre konzeptuellen Verwirklichungen inhaltlich und ideologisch zwischen zwei diametral entgegengesetzten Positionen auf: einer hegemonial-destruktiven und einer demokratisch-konstruktiven. In der Fachgeschichte wurde bis jetzt die erste Position weit öfter in den Fokus gerückt als die zweite, so dass die Modernen Philologien unter eine Art ideologischen Generalverdacht geraten sind. Die Aufarbeitung ihrer dunklen Seiten ist für die Selbstreflexion der philologischen Disziplinen unabdingbar. Ebenso unerlässlich für ihr Selbstverständnis und ihre weitere Entwicklung ist es aber, sich auf das positive Potenzial zu besinnen, das sie von Anfang an bereitgestellt haben und das eine „Zukunftsphilologie“ (Sheldon Pollock) fruchtbar machen kann. Unter diesen Vorzeichen konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf die Gründertexte der Romanischen Philologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ziel ist es, zu zeigen, wie eine Rückbesinnung auf die Anfänge dieser Disziplin relevante überlegungen für die heutigen Debatten zur vielzitierten „Krise“ der Modernen Philologien liefern kann.