Abstract
Einleitung Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Vergiftungen als Todesursache in der Schweiz. Es werden Daten aus den Jahren 1997 bis 2008 aus der Todesursachenstatistik des Schweizerischen Bundesamtes für Statistik (BFS) und Daten von Tox Info Suisse, Zürich untersucht und miteinander verglichen. Methodik Es handelt sich um eine retrospektive Datenbankanalyse; eingeschlossen wurden sämtliche Vergiftungstodesfälle in der Schweiz vom 01.01.1997 bis 31.12.2008 aus der Todesursachenstatistik des Schweizerischen Bundesamtes für Statistik (BFS), welche nach ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) codiert wird und aus der Beratungs-Datenbank von Tox Info Suisse. Resultate Daten BFS: Es wurden insgesamt 10'743 Vergiftungstodesfälle registriert. Über den Studienzeitraum zeigt sich eine leichte jährliche Zunahme der Vergiftungstodesfälle von 10.9/100‘000 Einwohner auf 13.5/100‘000 Einwohner, die auf die Zunahme der assistierten Suizide zurückzuführen ist. Die Zahl der Vergiftungstodesfälle unter Ausschluss der assistierten Suizide blieb konstant. 45.6% der Todesfälle sind suizidal bedingt (ICD-10 X60- X69, X76), 10.2% akzidentell (ICD-10 X00-X09, X20-29, X40-49), 42.7% der Fälle sind durch Abusus/Missbrauch verursacht (ICD-10 F10-F19). In allen Altersgruppe ausser den ≥ 80- Jährigen überwiegt das männliche Geschlecht. Die Altersgruppe mit den meisten Vergiftungstodesfällen liegt bei den Männern bei 30 bis 49 Jahren, bei den Frauen bei 50 bis 69 Jahren. Kinder (<16-jährig) sind in 33 (0.3%) aller Fälle betroffen; es überwiegen die akzidentellen Vergiftungen (60.6%). Bei geschiedenen Personen treten die meisten Vergiftungstodesfälle auf (durchschnittlich 39.9/100'000 Einwohner), gefolgt von den Verwitweten (durchschnittlich 30.8/100'000 Einwohner). Der stärkste Anstieg über die Studienperiode wurde bei den Verwitweten registriert; im gleichen Zeitraum nahm auch die Anzahl der assistierten Suizide bei den Verwitweten stark zu. Bei der Auswertung der involvierten Substanzen steht bei den Suiziden die Substanzgruppe "Antiepileptika, Hypnotika, Antiparkinsonmittel und psychotrope Substanzen" (X61) im Vordergrund (72.6%). Zu dieser Gruppe gehören auch die assistierten Suizide mit Natriumpentobarbital, die 36.1% aller Fälle in dieser Gruppe ausmachen. Zu akzidentellen Vergiftungen kommt es in erster Linie durch "Betäubungsmittel und Halluzinogene" (X42) (40.2%). Bei den Fällen mit Abusus/Missbrauch steht der Alkohol (F10) im Vordergrund (49.5%). 10.5% aller Todesfälle werden dem BFS durch Spitalärzte gemeldet, in 81.1% der Fälle erfolgt die Meldung durch einen Rechtsmediziner/Pathologen, respektive durch einen Bezirksarzt/niedergelassenen Arzt. Epidemiologie der Vergiftungsmortalität in der Schweiz von 1997 bis 2008 6 Daten Tox Info Suisse: Es wurden insgesamt 151 Vergiftungstodesfälle registriert. 118 (78.1%) davon sind Todesfälle durch beabsichtigte Vergiftungen und 19 (12.6%) akzidentell bedingte Intoxikationen (12.6%). Am meisten Todesfälle zeigen sich bei den 40 bis 65-Jährigen, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Der Hauptteil der Vergiftungstodesfälle erfolgt durch Ingestion von Substanzen (84.8%). Die Gruppe der Medikamente stellt mit 58.3% die grösste ursächliche Substanzgruppe dar, gefolgt von Produkten für Landwirtschaft und Gartenbau (13.2%), Drogen (9.3%) sowie technischen und gewerblichen Produkten (5.3%). Bei den Medikamenten stehen die Substanzen für das Nervensystem (64.8%) an erster Stelle, gefolgt von denen für das kardiovaskuläre System (18.7%). Daten BFS und Tox Info Suisse: Die Anzahl der von Tox Info Suisse erfassten Vergiftungstodesfälle beträgt 1.4% (151/10'743). Von diesen konnten 65 mit den entsprechenden Fällen beim BFS zusammengeführt werden, wobei 5 davon beim BFS nicht als Intoxikation codiert sind. Bei Extrapolation auf den gesamten Datensatz des BFS wäre davon auszugehen, dass 827 Fälle (95% CI 355-1805) beim BFS nicht als Intoxikationen klassiert sind. Schlussfolgerungen Unabhängig von den Vergiftungsumständen ist die Gruppe der Medikamente und Drogen am häufigsten für Vergiftungstodesfälle verantwortlich. Dabei zeigt sich ein deutliches Überwiegen der suizidalen gegenüber den akzidentellen Vergiftungstodesfällen. Die konstante Zunahme der jährlichen Vergiftungstodesfälle über den Zeitraum der Studie ist ausschliesslich auf den Anstieg der assistierten Suizide (Sterbehilfeorganisationen) zurückzuführen. Von sämtlichen beim BFS erfassten Vergiftungstodesfällen registrierte Tox Info Suisse lediglich 1.4%. Die Daten vom BFS geben einen umfassenderen, aber weniger detaillierten Überblick über die Vergiftungstodesfälle in der Schweiz, die Daten von Tox Info Suisse hingegen zeigen einen kleineren, dafür detaillierteren Ausschnitt. Die geringere quantitative Erfassung von Vergiftungstodesfällen durch Tox Info Suisse ist durch unterschiedliche Gründe erklärbar, z.B. Vermutung einer nicht-toxikologischen Ursache, fehlende ärztliche Meldepflicht von Vergiftungen an Tox Info Suisse oder bereits erfolgter Tod beim Auffinden. Die Sammlung und Auswertung epidemiologischer Daten zu Vergiftungstodesfällen kann zur Erkennung von Risikofaktoren beziehungsweise Risikogruppen beitragen. In Anbetracht dieser Tatsache wäre die Meldung sämtlicher Vergiftungstodesfälle der Schweiz an Tox Info Suisse als professioneller Schnittstelle für Intoxikationen wünschenswert, da hier eine detaillierte Erfassung der Ätiologie und von klinisch relevanten Faktoren erfolgt sowie eine Kausalitätsbeurteilung durchgeführt wird.