Abstract
Einleitung: Die Teilnahme von psychisch erkrankten Personen am Strassenverkehr ist ein wichtiger Diskussionspunkt in der Verkehrsmedizin. Bisherige fahreignungsbezogene Studien befassten sich neben der Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-problematik vor allem mit der Schizophrenie, affektiven Störungen sowie Persönlichkeitsstörungen. Fragestellung: In der vorliegenden Studie wurde erstmalig der Stellenwert von Essstörungen (ED) bei verkehrsmedizinischen Fahreignungsabklä-rungen untersucht. Methode: Zunächst erfolgte eine strukturierte Literaturrecherche in Online-Datenbanken Pubmed, Cochrane Library, PsycInfo, sowie im Rechtsinformationssystem dejure.org. Anschliessend wurde für den Zeitraum zwischen 1.1.2013 und 31.12.2019 eine Stichwort-basierte Freitextsuche in der internen Falldatenbank des Instituts für Rechtsmedi-zin der Universität Zürich (IRM-UZH) durchgeführt. Resultat: Die Literaturrecherche ergab bis auf ein Gerichtsurteil keine zutreffenden Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen ED und Fahreignung (FE). Im Beobachtungszeitraum wurden von insgesamt 62.997 verkehrsmedizinisch begutachteten Fällen 163 Personen mit einer Essstörungsdiagnose am IRM-UZH untersucht, davon 87.7 % weiblich. Über zwei Drittel dieser Probanden hatten die Diagnose einer Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa. Über 85 % der Probanden hatten psychiatrische Zusatzdiagnosen, am häufigsten emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ. Substanzproblematik war der häufigste Anlass für eine verkehrsmedizinische FE-Abklärung sowie auch der häufigste Grund für die Ablehnung der FE. Schlussfolgerung: ED sind im verkehrsmedizinischen Kontext rein quantitativ selten und weisen ausgeprägte Überlappungen mit substanzbezogener Problematik auf, wobei letztere durchaus verkehrsrelevant sind.