Abstract
Im Jahr 1997 hält Paul Ricoeur anlässlich der Vergabe des Übersetzungspreises der Deutschen Verlagsanstalt einen Vortrag unter dem Titel „Défi et bonheur de la traduction“, in welchem – im Dialog mit Walter Benjamin und Sigmund Freud – die Tätigkeit der Übersetzer*in als gelingende ‚Trauerarbeit‘, als erfolgreicher ‚Abschied‘ vom ‚Ideal der perfekten Übertragung‘ charakterisiert wird. Wie aber, so die leitende Frage des Beitrags, vom ‚bonheur‘ der Übersetzung sprechen, ohne, schweigend, auch dessen anderes, den ‚malheur‘ auf den Plan zu rufen? Was wäre eine Übersetzung, die, was (‚arbeitend‘) hinter sich zu lassen einer solchen Glück bedeutet, (‚symptomatisch‘) inkorporierte? Dem Übersetzungstheoretiker Ricoeur mag diese Fragedimension fremd sein – nicht aber Ricoeur dem Praktiker, jenem Ricoeur, der 1950 Edmund Husserls Ideen I ins Französische überträgt und uns, wie am (Nicht-)Beispiel von Husserls „Abschattung“ (die, wie bei Freud „der Schatten des Objekts […] auf das Ich [fällt]“, als deutscher Einschub im französischen Text die Idées heimsucht) herausgearbeitet werden soll, mit einer Theorie translatorischer Melancholie avant la lettre bzw. zwischen den Sprachen konfrontiert.