Abstract
In Krisenzeiten gewinnen alternative Weltdeutungen an Definitionsmacht, die Leitbilder der öffentlichen Sphäre in Frage stellen. Im Zuge der COVID-19-Pandemie verbreiten sich solche Narrative in Form von Verschwörungsmythen. Sie bieten Erklärungen für komplexe Sachverhalte, indem davon ausgegangen wird, dass gesellschaftliche Ereignisse von geheimen Eliten geplant und gesteuert werden. Darüber hinaus beruhen sie häufig auf pseudotranszendentalen Erklärungen, die sich einer Überprüfung entziehen, aber schicksalhafte Ereignisse mit Sinn füllen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Verschwörungsmythen religiöse oder spirituelle Züge beinhalten. In dieser Studie untersuchen wir mit einer im April 2022 durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsbefragung in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz (n = 1221) den Zusammenhang zwischen Spiritualität, Religiosität und der Affinität gegenüber Verschwörungsmythen. Die Resultate zeigen zunächst, dass insbesondere die emotionale Betroffenheit während der COVID-19-Pandemie ein wichtiger Prädiktor im Zusammenhang mit Verschwörungsaffinität ist. Je negativer die emotionale Betroffenheit, umso höher ist die Affinität gegenüber Verschwörungsmythen. Umgekehrt wirken positive Emotionen während der Pandemie negativ auf die Verschwörungsaffinität. Während die Konfessionszugehörigkeit wie auch Religiosität kaum die Verschwörungsaffinität beeinflussen, erweist sich in unserer Studie Spiritualität als wichtigster Prädiktor. Wir schliessen daraus, dass in säkularisierten Gesellschaften Spiritualität ohne die Einbindung in traditionelle religiöse Gemeinschaften mit einer verstärkten Offenheit für Verschwörungsmythen als Ersatzreligion einhergeht.
In times of crisis, alternative interpretations of the world that challenge the public sphere gain impact. During the COVID-19 pandemic, such narratives spread in the form of conspiracy myths. They give explanations for complex questions by assuming that social events are planned and controlled by secret elites. Moreover, they are often based on pseudo-transcendental explanations that defy scrutiny but fill fateful events with meaning. In this context, the question arises whether conspiracy myths contain religious or spiritual elements. In this study, we use a representative population survey conducted in April 2022 in German- and French-speaking Switzerland (n = 1221) to examine the relationship between spirituality, religiosity, and affinity toward conspiracy myths. The results show that emotional concern during the COVID-19 pandemic is an important predictor related to conspiracy affinity. The more negative the emotional concern, the higher the affinity towards conspiracy myths. Conversely, positive emotions during the pandemic negatively affect conspiracy affinity. While religious affiliations and religiosity hardly influence conspiracy affinity, spirituality turns out to be the most important predictor in our study. We conclude that in secularized societies spirituality without involvement in traditional religious communities can result in an increased openness to conspiracy myths as a surrogate for religion.
Abstract
In Krisenzeiten gewinnen alternative Weltdeutungen an Definitionsmacht, die Leitbilder der öffentlichen Sphäre in Frage stellen. Im Zuge der COVID-19-Pandemie verbreiten sich solche Narrative in Form von Verschwörungsmythen. Sie bieten Erklärungen für komplexe Sachverhalte, indem davon ausgegangen wird, dass gesellschaftliche Ereignisse von geheimen Eliten geplant und gesteuert werden. Darüber hinaus beruhen sie häufig auf pseudotranszendentalen Erklärungen, die sich einer Überprüfung entziehen, aber schicksalhafte Ereignisse mit Sinn füllen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Verschwörungsmythen religiöse oder spirituelle Züge beinhalten. In dieser Studie untersuchen wir mit einer im April 2022 durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsbefragung in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz (n = 1221) den Zusammenhang zwischen Spiritualität, Religiosität und der Affinität gegenüber Verschwörungsmythen. Die Resultate zeigen zunächst, dass insbesondere die emotionale Betroffenheit während der COVID-19-Pandemie ein wichtiger Prädiktor im Zusammenhang mit Verschwörungsaffinität ist. Je negativer die emotionale Betroffenheit, umso höher ist die Affinität gegenüber Verschwörungsmythen. Umgekehrt wirken positive Emotionen während der Pandemie negativ auf die Verschwörungsaffinität. Während die Konfessionszugehörigkeit wie auch Religiosität kaum die Verschwörungsaffinität beeinflussen, erweist sich in unserer Studie Spiritualität als wichtigster Prädiktor. Wir schliessen daraus, dass in säkularisierten Gesellschaften Spiritualität ohne die Einbindung in traditionelle religiöse Gemeinschaften mit einer verstärkten Offenheit für Verschwörungsmythen als Ersatzreligion einhergeht.
In times of crisis, alternative interpretations of the world that challenge the public sphere gain impact. During the COVID-19 pandemic, such narratives spread in the form of conspiracy myths. They give explanations for complex questions by assuming that social events are planned and controlled by secret elites. Moreover, they are often based on pseudo-transcendental explanations that defy scrutiny but fill fateful events with meaning. In this context, the question arises whether conspiracy myths contain religious or spiritual elements. In this study, we use a representative population survey conducted in April 2022 in German- and French-speaking Switzerland (n = 1221) to examine the relationship between spirituality, religiosity, and affinity toward conspiracy myths. The results show that emotional concern during the COVID-19 pandemic is an important predictor related to conspiracy affinity. The more negative the emotional concern, the higher the affinity towards conspiracy myths. Conversely, positive emotions during the pandemic negatively affect conspiracy affinity. While religious affiliations and religiosity hardly influence conspiracy affinity, spirituality turns out to be the most important predictor in our study. We conclude that in secularized societies spirituality without involvement in traditional religious communities can result in an increased openness to conspiracy myths as a surrogate for religion.
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