Abstract
Mit der Reformation fielen katholische Praktiken der Heilsvorsorge wie Ablass, Ohrenbeichte oder Wallfahrten weg. Laut reformierter Rechtfertigungslehre ist die aufrichtige innere Reue der Gläubigen für begangene Sünden und der tiefe Glaube an Gott die Voraussetzung dafür, dass allein Gott aus Gnade das Seelenheil gewährt. Daher verfolgte zum einen der Zürcher Rat die Verschärfung der Sittenmandate, zum anderen wurde die seelsorgerliche Betreuung der Gläubigen zu einer Hauptaufgabe des Klerus. Für die Praxis bedeutete dies, dass die Zürcher Pfarrer dem Rat gegenüber verpflichtet waren, in ihren Gemeinden sowohl über die Einhaltung der göttlichen als auch der weltlichen Gesetze zu wachen. Die Pfarrer hatten nicht nur zu predigen und die Sakramente zu spenden, sondern auch die Gemeindemitglie der religiös zu unterweisen, sie bei Verfehlungen zu ermahnen oder sie zu trösten, wenn sie etwa im Rahmen von Haus-, Kranken- oder Gefängnisbesuchen der Erbauung bedurften. Die seelsorgerliche Praxis bewegte sich somit in einem Spannungsfeld zwischen empathischer Lebenshilfe und strenger Ausübung sozialer Kontrolle.