Abstract
In Zeitdiagnosen der letzten zwei Jahrzehnte waren Tendenzen der Entpolitisierung ein analytisches Leitmotiv: Heutige Gesellschaften seien geprägt von der weit verbreiteten Behauptung genereller Alternativlosigkeit, von der Verdrängung konflikthafter Modi der politischen Auseinandersetzung und von der Verschiebung utopischer Energien in individualisierte Fragen von Lebensführung, Ethik und Moral. Dieser Essay zeigt am Beispiel von Reaktionen auf die Corona-Pandemie in New York City im Sommer 2020 auf, inwiefern eine Hochkonjunktur ethisch-moralischer Anrufungen solche Diagnosen bestätigen, legt aber andererseits dar, inwiefern städtische Akteur:innen sich implizit und explizit an der Dichotomie von Ethik/Moral einerseits und „harter“ Politik andererseits abarbeiteten, z. B. durch die Organisierung und Politisierung von mutual aid. In solchen Programmatiken zeichnen sich, so die These, neue ethisch-politische Landschaften ab.
Ege, Moritz