Abstract
Dieser Text thematisiert den theoretischen Hintergrund von aktueller Forschung zum Wesen und zur Entstehung der Kompetenz, Lieder im Kindergarten und in der Primarschule zu vermitteln. Das Lehren und der Erwerb von Liedern in der Bildung werden aus anthropologischer und strukturgenetischer Sicht begründet. Dabei erweisen sich die intergenerationelle Tradierung von Liedern, die humanspezifische vokale Lernfähigkeit und der generative Systemcharakter von Sprache und Musik als kulturpsychologische Konstanten. Jedes Kinderlied – die elementare sprach-musikalische Form – exemplifiziert die Anwendung einer Grammatik, die diesem Genre zugrunde liegt. Grammatik als expliziertes Regelwerk erlaubt es, wohlgeformte Lieder zu bilden und sie ästhetisch zu beurteilen. Zugleich vermitteln Kinderlieder Gefühle, die sozial geteilt und erinnert werden. Die Liedvermittlung im Kontext von formellem Klassengesang versteht sich folglich als komplexe Kulturpraxis und als musikdidaktische Kernaufgabe.