Abstract
Die im 19. Jahrhundert gegründeten Generalanzeiger gelten als Meilenstein der entstehenden Massenpresse und können gewissermaßen als „one-day bestsellers“ verstanden werden, bei deren Lektüre NutzerInnen sich vorstellten, dass tausende anderer Menschen das Gleiche taten. Die medienhistorische Forschung hat bisher vernachlässigt, dass Verleger und Redaktionen solche Publikumsvorstellungen ge-zielt forciert haben. Dieser Beitrag zeigt auf Basis einer qualitativen Untersuchung von 2049 Titelseiten aus den Jahren 1888 bis 1902, dass bereits in den ersten Jah-ren der Erscheinung neuer Generalanzeiger eine massive öffentliche Kommunika-tion über das Publikum stattfand. Mittels unterschiedlicher Publikumskonstruk-tionen versuchten Zeitungen sich als nachgefragte und etablierte Medientitel auf dem expandierenden und hart umkämpften Pressemarkt darzustellen. Hohe und stetig wachsende Nutzungszahlen wurden von Beginn an gegenüber (potenziellen) LeserInnen prominent kommuniziert und trugen mutmaßlich zur Etablierung neuer Zeitungstitel bei. Die historische Analyse umfasst drei retro-digitalisierte, deutsche Generalanzeiger und basiert auf deduktiv wie induktiv unterschiedenen Publikums-konstruktionen. Damit bietet sich eine Perspektive, mit der über Internet und Big Data hinaus die öffentliche Kommunikation über Medienpublika und Nutzungs-daten in den Blick genommen und historisiert werden kann und die für ein breites Spektrum der Mediengeschichte anwendbar ist.