Abstract
Conrad Ferdinand Meyer arbeitet in seinem historischen Erzählen mit starken Affekten. Liebe und Hass erscheinen in Extremform (Inzest, Mord und Verrat) und überlagern sich dabei mit dem zeitgenössischen Reizthema des Kulturkampfs (Nationalstaat vs. Kirche). Hass und Liebe sind mithin in Meyers Erzählen politisch-weltanschaulich überformt und gehen über die literarische Darstellung von Gefühlen hinaus. Der Beitrag macht deutlich, wie Meyer in seinem Erzählen über Stoffwahl, Figurencharakterisierung und Spannungserzeugung eine Affektpoetik verfolgt, die mit ihren spezifischen Effekten die zeitgenössische Leserschaft emotionalisiert. Indem Liebe und Hass in Interaktion mit Politik und Weltanschauung treten, stellen sie im affektiven Transfer geltende Regelungen von Kirche, Staat und Gesellschaft zur Disposition.
Andermatt, Michael