Abstract
Journalistische Medien spielen eine zentrale Rolle im politischen Meinungsbildungsprozess (Kübler & Goodman, 2019; Udris et al., 2022). Medien sollen unter anderem über relevante Themen berichten und den geografischen Räumen in der Öffentlichkeit Geltung verschaffen. Dies ist eine zentrale Voraussetzung für die Integrationsfunktion des Journalismus in der Schweiz (Jarren, 2000; Schönhagen & Trebbe, 2009; Vogler & Udris, 2021). Deshalb ist eine vielfältige Repräsentation von Gemeinden und Regionen in den Medien für das demokratische System der Schweiz wichtig. Der Kanton Aargau ist für die publizistische Versorgung ein interessanter und anspruchsvoller Fall. Er verfügt über kein klares Zentrum und ist mit seinen vielen Gemeinden politisch kleinteilig organisiert. Es stellt sich deshalb die Frage, ob journalistische Medien im Kanton Aargau genügend vielfältig über die Gemeinden berichten und dabei auf gesellschaftspolitisch relevante Themen fokussieren.
Für den politischen Prozess in einem Kanton ist das Zusammenspiel von Regional-und Lokaljournalismus von Bedeutung. Aus einer kantonalen Perspektive übernehmen Regionalzeitungen wie die Aargauer Zeitung oder das Zofinger Tagblatt, die täglich über den ganzen kantonalen Raum berichten, eine wichtige Rolle. Einerseits tragen sie aufgrund ihrer Reichweite kantonale Themen in die nationale Arena. Andererseits ermöglichen sie einen Meinungsbildungsprozess auf gesamtkantonaler Ebene und tragen damit zur Integration auf kantonaler Ebene bei. Lokalmedien übernehmen hingegen wichtige Aufgaben für die kommunale Politik, indem sie beispielsweise über kommunale Abstimmungsvorlagen informieren oder über Gemeindeversammlungen berichten. Mit ihrer Berichterstattung über Politik, das kulturelle Leben oder die lokale Wirtschaft tragen sie zur Integration auf Gemeinde- oder Bezirksebene bei.
In dieser Studie haben wir die publizistische Versorgung im Kanton Aargau untersucht. In einem ersten Schritt haben wir ein Inventar der journalistischen Medien mit Sitz im Kanton Aargau erstellt. In einem zweiten Schritt haben wir mit einer Kombination von automatisierten und manuellen Inhaltsanalysen die Vielfalt der Berichterstattung über die Gemeinden des Kantons Aargau untersucht. Für die Analysen wurden die Gemeinden zu Gemeindetypen und Bezirken gruppiert. Neben Resonanz der Gemeinden insgesamt und im Vergleich zur Wohnbevölkerung wurden die Themenschwerpunkte der Berichterstattung erfasst sowie Auswertungen nach Medientypen vorgenommen. Die Resultate zeigen, dass die publizistische Versorgung des Kantons Aargau intakt ist. Der Kanton verfügt erstens über eine relativ hohe Anzahl an Medienangeboten. Insbesondere der Lokaljournalismus zeichnet sich durch eine hohe Titelvielfalt aus. Im Aargau existiert über grössere Regionalmedien auch eine tagesaktuelle Versorgung mit News aus dem gesamten Kanton. Zweitens erhalten alle Gemeinden in den Medien Resonanz. Es existieren also keine sogenannten «News Wüsten» - also Gemeinden über die kaum oder gar nicht mehr berichtet wird. Drittens wird für alle Gemeinden auch substanziell über relevante Themen, sprich Politik, Wirtschaft und Kultur, berichtet.
Die publizistische Versorgung im Kanton Aargau steht trotz dieses positiven Befunds vor einer unsicheren Zukunft. Erlöse aus gedruckten Zeitungen stagnieren oder sinken, die Einnahmen aus den Onlineangeboten sind tief. Noch gibt es kein Geschäftsmodell, um Journalismus im digitalen Raum nachhaltig zu finanzieren. Auch die Newsnutzung sinkt: Knapp die Hälfte der Menschen in der Schweiz gehören zu den sogenannten News-Deprivierten und konsumieren (fast) keine Nachrichten (fög, 2024). News werden zudem verstärkt online über Websites und Social-Media-Plattformen genutzt. Auch wenn die lokalen Angebote fast ausnahmslos über eine Website verfügen, setzt der Lokaljournalismus nach wie vor auf die gedruckte Zeitung. Es stellt sich somit die Frage, wie und ob der Lokaljournalismus in Zukunft ein Publikum erreichen kann, das digital unterwegs ist und kein ausgeprägtes Interesse an News hat. Aufgrund des sich wandelnden Nutzungsverhaltens lässt sich über die Förderung von traditionellen Distributionskanälen, sprich Zeitungen, das System nur mittelfristig stützen. Eine zentrale Herausforderung ist deshalb die digitale Transformation des Lokaljournalismus (Burger et al., 2023). Zudem kommt der Förderung der Medienkompetenz in den Schulen ein besonderer Stellenwert zu. Das Bewusstsein für die Bedeutung von Journalismus für die Gesellschaft und für das politische System, und dass diese Leistung auch etwas kostet, sollte gestärkt werden