Abstract
Die Betrachtung von pränataler Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik unter dem Aspekt der allgemeinen Bedingungen und Regeln ärztlichen Handelns zeigt, dass diese Methoden in verschiedener Hinsicht nicht ohne weiteres in diesen Rahmen hineinpassen. Sowohl der Begriff der Therapie wie derjenige der Prävention erfahren Bedeutungsverschiebungen, wenn von «therapeutischem Schwangerschaftsabbruch aus fötaler Indikation» oder von «Prävention des Downsyndroms» durch die Verhinderung der Geburt von bereits existierenden menschlichen Lebewesen mit dieser Chromosomenveränderung gesprochen wird. Die sonst übliche Verpflichtung des Arztes, zum Wohle des Patienten unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls zu handeln, wird durch Zielkonflikte zwischen den Interessen des Fötus oder Embryos, bei dem pränatale Diagnostik oder Präimplantationsdiagnostik durchgeführt wird, und den Interessen des betroffenen Elternpaars kompliziert und zusätzlich vom ausgesprochenen oder unausgesprochenen utilitaristischen Druck der Gesellschaft überlagert.
Die Besonderheiten ärztlichen Handelns im Rahmen der pränatalen Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik bedingen eine besondere medizinethische Reflexion dieser Fragen und daraus abgeleitet besondere Regeln in der Anwendung dieser Methoden. Noch anspruchsvoller als die Erarbeitung solcher Regeln ist allerdings ihre Umsetzung in die Praxis, insbesondere bei der pränatalen Diagnostik. Es braucht eine besondere Sensibilität beim Arzt und der Schwangeren, um zu erkennen, wo die Schwangerschaftsbetreuung den gewohnten Rahmen ärztlichen Handelns verlässt und die erwähnten Bedeutungsverschiebungen der Begriffe Therapie und Prävention sowie mögliche Zielkonflikte auftauchen. Eine solche Sensibilisierung kann nur durch eine breite und anhaltende gesellschaftliche Bewusstseinsbildung erreicht werden.