Abstract
Solon und Platon werden in der Literatur häufig in einem Zug genannt. Bereits Solon habe das Gesetz verstanden als Instrument zur Überwindung einer politischen Unordnung, die aus der mangelnden moralischen Qualifikation der Bürger resultiere. Die verbreitete Ansicht, Solon habe die politische Philosophie Platons vorweggenommen, bedarf der kritischen Prüfung. Tatsächlich versteht Platon unter Politik primär die moralische Erziehung der Bürger, während soziale Konflikte als Ursachen der Unordnung bei ihm eine untergeordnete Rolle spielen. Dagegen zielt das Gesetz im Verständnis von Solon auf sozialen Ausgleich; es soll die gegnerischen sozialen Kräfte dazu anhalten, den jeweiligen
Gegner in seinen Rechten anzuerkennen. Solons Verständnis seiner Aufgabe als Politiker kommt in den Elegien deutlicher zum Ausdruck als in den üblicherweise verwendeten Quellen von Aristoteles und anderen Autoren. Die Lektüre der Elegien legt eine materialistische Deutung nahe: Die widerrechtliche Enteignung der Armen durch die Reichen führt zum Bürgerkrieg, und der Gesetzgeber soll, gleichsam als unparteilicher Schiedsrichter (aisymnetes) einen Zustand herbeiführen, worin der Wille der Mächtigen, ihre Privilegien zu behalten, sowie der Kampf der Ohnmächtigen um elementare Freiheits- und Eigentumsrechte im Rahmen eines Gesetzes miteinander vereinbar sind.