Abstract
Die ökonomischen Wissenschaften erlebten im 18. Jahrhundert einen nahezu beispiellosen Aufstieg. Dieser Aufstieg war ein europäisches Phänomen, nahm jedoch im mitteleuropäischen Raum – innerhalb der Territorien des Alten Reiches – eine besonders rasante Entwicklung und erhielt gleichzeitig eine spezifische disziplinäre Verfassung. Die „Kameralwissenschaften“ – so der Name der neuen Disziplin – schlossen an überkommene, sehr unterschiedliche Traditionslinien an, vereinigten sie zu einem Korpus komplementärer Wissensfelder und systematisierten sie in Lehrbüchern und Enzyklopädien als Felder einer politischen Ökonomie. Unter historisch-epistemologischen Prämissen lässt sich in diesem wissenschaftsgeschichtlichen Formierungsprozess eine doppelte Bewegung erkennen: Zum einen entstand ein Wissensobjekt neuer Qualität, das sich nach eigenen Gesetzmäßigkeiten ausbildete, ohne sich je endgültig festschreiben zu lassen. Man kann dieses Wissensobjekt als eine Ökonomie der Macht bezeichnen, die nur in den Bewegungen, in welchen sie sich formierte und ihre Kraft immer wieder aufs neue sicherte, zu fassen war. Dieser Ökonomie der Macht als Gegenstand entsprach zum anderen eine Ökonomie des Wissens, sprich eine prozessual und dynamisch bestimmte Form der Verfertigung und Distribution kameralwissenschaftlicher Erkenntnisse. Beide Bewegungen werden im Rahmen der Studie in den Blick genommen und in ihrer für das Staatsverständnis wie die politische Praxis des 18. Jahrhunderts fundamentalen Bedeutung analysiert.