Arbeitsmarkt Privathaushalt. Charakteristika der Unternehmen, deren Beschäftigungsstruktur und Arbeitsbedingungen, eine Studie im Auftrag der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich
Truong, Jasmine; Schwiter, Karin; Berndt, Christian (2012). Arbeitsmarkt Privathaushalt. Charakteristika der Unternehmen, deren Beschäftigungsstruktur und Arbeitsbedingungen, eine Studie im Auftrag der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich. Zürich: Geographisches Institut der Universität Zürich.
Abstract
Aktuelle Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz für den Zeitraum 2010-2060 rechnen mit einer Zunahme der Personen im Pensionsalter: Laut dem Bundesamt für Statistik (2010: 28) steigt die Zahl der Personen zwischen 65 und 79 Jahren im besagten Zeitraum von 962'000 um 53% auf 1'472'000. Noch stärker wird die Zahl der Personen ab 80 Jahren zunehmen. Betrug sie im Jahr 2010 382'000 Personen, wird sie auf über eine Million im Jahr 2060 steigen. Die demographische Alterung verändert die Bevölkerungszusammensetzung und stellt die Gesellschaft als Ganzes vor neue Herausforderungen. Ein wichtiges Thema ist dabei die Sicherung der Altersvorsorge, um dem bereits oft zitierten „Pflegenotstand“ entgegenzusteuern. In jüngster Zeit entsteht in der Schweiz ein weitgehend unregulierter Arbeitsmarkt im Privathaushalt. Es treten zunehmend profitorientierte Anbieter von Betreuungsdienstleistungen auf den Pflegemarkt, deren Service von einer stundenweisen Betreuung bis zu einem 24-Stunden-Service reichen: rund um die Uhr Betreuung zu Hause. Dabei werden hauptsächlich weibliche Arbeitskräfte rekrutiert, primär in Osteuropa und Ostdeutschland. Dass ein Markt im Privathaushalt alter, pflegebedürftiger Menschen in der Schweiz eine entstehende Realität ist, darauf verweisen zahlreiche Medienberichte. Einer statistischen Erfassung von Beschäftigten und deren Arbeitsbedingungen in dieser Branche werden enge Grenzen gesetzt, da der globalisierte Arbeitsmarkt im Privathaushalt weitgehend vom öffentlichen Blick abgeschirmt ist. Der vorliegende Bericht basiert auf einer qualitativ-empirischen Untersuchung, die im Auftrag der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich durchgeführt wurde. Eine Online-Recherche zur Unternehmenslandschaft im Dienstleistungsbereich der ambulanten Pflege und Betreuung ergab eine Gesamtzahl von rund dreissig potentiellen Anbietern auf dem stadtzürcher Pflege- und Betreuungsmarkt. Mit Vertreterinnen und Vertretern von neun dieser Unternehmen wurden im Zeitraum von Dezember 2011 bis März 2012 Interviews geführt. Das Ziel der Studie bestand darin, Marktstrategien, Beschäftigungsstruktur und Arbeitsbedingungen in den Unternehmen zu untersuchen. Dabei richtete sich der Fokus auf das 24-Stunden-Betreuungsarrangement, in dem ausländische Live-ins beschäftigt sind. Die Studie präsentiert ein diversifiziertes Bild der noch jungen Unternehmenslandschaft. Die Bandbreite der Unternehmensgrösse reicht von einem 10-Personen-Unternehmen bis zu einem Grossunternehmen mit einem Mitarbeitendenpool von 1'000 potenziellen Betreuenden. Auch das Dienstleistungsangebot auf dem Markt ist unterschiedlich: Während die einen ausschliesslich 24h-Betreuungsdienstleistungen anbieten, offerieren andere zusätzlich einen stundenweisen Service. Für das 24h-Marktangebot gibt es neben dem Modell mit hiesigen Live-outs, die in einem 2- oder 3-Schichtensystem arbeiten, typischerweise das Arrangement mit zwei ausländischen Live-ins, die sich in einem bestimmten Wochenrhythmus abwechseln und zwischen Heimatland und der Schweiz als Arbeitsort hin- und herreisen. Die Marktpreise für einen 24-Stunden-Service pro Monat differieren enorm: Es bestehen zum einen Preise in der Höhe von CHF 4'500, zum anderen aber auch solche, die um ein Zehnfaches höher sind. Im Unterschied zu der breiten Palette des Dienstleistungsangebots variieren die Beschäftigungsverhältnisse der Arbeitskräfte etwas weniger. Die Ergebnisse der Studie zeigen einen höchst prekären Arbeitsmarkt für ausländische Live-ins, was speziell die Kündigungsfristen und die Arbeitszeit- sowie Ruhezeitregelungen betrifft. Mit Letzterem geht die Frage nach der Qualifizierung der Präsenzzeit und insbesondere des Bereitschaftsdienstes in der Nacht einher. Diese Leistungen werden gegenwärtig nicht entgolten. Die Unternehmen suggerieren mit einer vertraglich vereinbarten 42- bis maximal 50-Stunden-Woche und einem Bruttomonatslohn inklusive Ferien- und Feiertagsentschädigung zwischen CHF 3'000 und CHF 5'000 ein „normales Arbeitsverhältnis“. De facto besteht die Erwartung einer 24h-Abrufbereitschaft und flexibel einzusetzende und eigenständig einzufordernde Ruhezeiten. Ausserdem überspielt der Begriff des „Monatslohns“ die Tatsache, dass die 24h-Betreuerinnen, die zum Beispiel in einem 4-Wochen-Rhythmus arbeiten, jeden zweiten Monat einen „Lohnausfall“ haben, da sie typischerweise nur 50% arbeiten können. Wie der Bericht zeigt, kann das bedeuten, dass eine Live-in pro Monat effektiv über CHF 1'500 verfügt. Die Untersuchung zeigt eine junge, dynamische und kurzlebige Unternehmenslandschaft, die durch transnationale Merkmale charakterisiert ist. Das Angebot an ausländischen Betreuungskräften übersteigt heute die Nachfrage nach Betreuungsdienstleistungen im Privathaushalt um ein Vielfaches, womit der Markt zu Ungunsten der Arbeitnehmenden spielt. Der Bericht macht deutlich, dass zentrale Fragen zur Regelung der Arbeitszeiten, Einhaltung von Ruhezeiten und Qualifizierung des Bereitschaftsdienstes noch ungelöst sind. Werden diese Fragen nicht geklärt, bleibt der im nationalen Normalarbeitsvertrag (NAV) Hauswirtschaft geltende Mindestlohn von CHF 18.20 brutto weitgehend wirkungslos.
Abstract
Aktuelle Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz für den Zeitraum 2010-2060 rechnen mit einer Zunahme der Personen im Pensionsalter: Laut dem Bundesamt für Statistik (2010: 28) steigt die Zahl der Personen zwischen 65 und 79 Jahren im besagten Zeitraum von 962'000 um 53% auf 1'472'000. Noch stärker wird die Zahl der Personen ab 80 Jahren zunehmen. Betrug sie im Jahr 2010 382'000 Personen, wird sie auf über eine Million im Jahr 2060 steigen. Die demographische Alterung verändert die Bevölkerungszusammensetzung und stellt die Gesellschaft als Ganzes vor neue Herausforderungen. Ein wichtiges Thema ist dabei die Sicherung der Altersvorsorge, um dem bereits oft zitierten „Pflegenotstand“ entgegenzusteuern. In jüngster Zeit entsteht in der Schweiz ein weitgehend unregulierter Arbeitsmarkt im Privathaushalt. Es treten zunehmend profitorientierte Anbieter von Betreuungsdienstleistungen auf den Pflegemarkt, deren Service von einer stundenweisen Betreuung bis zu einem 24-Stunden-Service reichen: rund um die Uhr Betreuung zu Hause. Dabei werden hauptsächlich weibliche Arbeitskräfte rekrutiert, primär in Osteuropa und Ostdeutschland. Dass ein Markt im Privathaushalt alter, pflegebedürftiger Menschen in der Schweiz eine entstehende Realität ist, darauf verweisen zahlreiche Medienberichte. Einer statistischen Erfassung von Beschäftigten und deren Arbeitsbedingungen in dieser Branche werden enge Grenzen gesetzt, da der globalisierte Arbeitsmarkt im Privathaushalt weitgehend vom öffentlichen Blick abgeschirmt ist. Der vorliegende Bericht basiert auf einer qualitativ-empirischen Untersuchung, die im Auftrag der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich durchgeführt wurde. Eine Online-Recherche zur Unternehmenslandschaft im Dienstleistungsbereich der ambulanten Pflege und Betreuung ergab eine Gesamtzahl von rund dreissig potentiellen Anbietern auf dem stadtzürcher Pflege- und Betreuungsmarkt. Mit Vertreterinnen und Vertretern von neun dieser Unternehmen wurden im Zeitraum von Dezember 2011 bis März 2012 Interviews geführt. Das Ziel der Studie bestand darin, Marktstrategien, Beschäftigungsstruktur und Arbeitsbedingungen in den Unternehmen zu untersuchen. Dabei richtete sich der Fokus auf das 24-Stunden-Betreuungsarrangement, in dem ausländische Live-ins beschäftigt sind. Die Studie präsentiert ein diversifiziertes Bild der noch jungen Unternehmenslandschaft. Die Bandbreite der Unternehmensgrösse reicht von einem 10-Personen-Unternehmen bis zu einem Grossunternehmen mit einem Mitarbeitendenpool von 1'000 potenziellen Betreuenden. Auch das Dienstleistungsangebot auf dem Markt ist unterschiedlich: Während die einen ausschliesslich 24h-Betreuungsdienstleistungen anbieten, offerieren andere zusätzlich einen stundenweisen Service. Für das 24h-Marktangebot gibt es neben dem Modell mit hiesigen Live-outs, die in einem 2- oder 3-Schichtensystem arbeiten, typischerweise das Arrangement mit zwei ausländischen Live-ins, die sich in einem bestimmten Wochenrhythmus abwechseln und zwischen Heimatland und der Schweiz als Arbeitsort hin- und herreisen. Die Marktpreise für einen 24-Stunden-Service pro Monat differieren enorm: Es bestehen zum einen Preise in der Höhe von CHF 4'500, zum anderen aber auch solche, die um ein Zehnfaches höher sind. Im Unterschied zu der breiten Palette des Dienstleistungsangebots variieren die Beschäftigungsverhältnisse der Arbeitskräfte etwas weniger. Die Ergebnisse der Studie zeigen einen höchst prekären Arbeitsmarkt für ausländische Live-ins, was speziell die Kündigungsfristen und die Arbeitszeit- sowie Ruhezeitregelungen betrifft. Mit Letzterem geht die Frage nach der Qualifizierung der Präsenzzeit und insbesondere des Bereitschaftsdienstes in der Nacht einher. Diese Leistungen werden gegenwärtig nicht entgolten. Die Unternehmen suggerieren mit einer vertraglich vereinbarten 42- bis maximal 50-Stunden-Woche und einem Bruttomonatslohn inklusive Ferien- und Feiertagsentschädigung zwischen CHF 3'000 und CHF 5'000 ein „normales Arbeitsverhältnis“. De facto besteht die Erwartung einer 24h-Abrufbereitschaft und flexibel einzusetzende und eigenständig einzufordernde Ruhezeiten. Ausserdem überspielt der Begriff des „Monatslohns“ die Tatsache, dass die 24h-Betreuerinnen, die zum Beispiel in einem 4-Wochen-Rhythmus arbeiten, jeden zweiten Monat einen „Lohnausfall“ haben, da sie typischerweise nur 50% arbeiten können. Wie der Bericht zeigt, kann das bedeuten, dass eine Live-in pro Monat effektiv über CHF 1'500 verfügt. Die Untersuchung zeigt eine junge, dynamische und kurzlebige Unternehmenslandschaft, die durch transnationale Merkmale charakterisiert ist. Das Angebot an ausländischen Betreuungskräften übersteigt heute die Nachfrage nach Betreuungsdienstleistungen im Privathaushalt um ein Vielfaches, womit der Markt zu Ungunsten der Arbeitnehmenden spielt. Der Bericht macht deutlich, dass zentrale Fragen zur Regelung der Arbeitszeiten, Einhaltung von Ruhezeiten und Qualifizierung des Bereitschaftsdienstes noch ungelöst sind. Werden diese Fragen nicht geklärt, bleibt der im nationalen Normalarbeitsvertrag (NAV) Hauswirtschaft geltende Mindestlohn von CHF 18.20 brutto weitgehend wirkungslos.
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