Abstract
In der Frühen Neuzeit begannen erfolgreiche Maler, Bildhauer und Architekten, ihren Arbeits- und Lebensraum als Medium ihrer gesellschaftlichen Befreiung vom Handwerkerstatus zu nutzen. Das Atelierhaus war die Visitenkarte des gebildeten Hofkünstlers, dessen oft reich ausgestattete und mit komplexen Bildprogrammen dekorierte Bauten in Konkurrenz zu den Palästen seiner aristokratischen Auftraggeber standen. Nach dem politischen Umbruch um 1800 durchlief das Künstlerhaus zahlreiche Wandlungen und ist zum Sammelbegriff für verschiedene Formen gestalteter Gebäude und Aussenräume von Kunstschaffenden geworden. Von Anfang an verkörpert es nicht nur einen Bautypus im engeren Sinn, der sich über Ästhetik und Funktion allein definieren lässt. Eine Konstante jenseits aller Gattungsgrenzen ist die Verwandtschaft mit dem Selbstporträt. Fassaden, Räume, Wände und Gärten sowie Sammlungen und Bibliotheken wurden zur Schnittstelle zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, zu Projektionsfeldern eigener Wertvorstellungen und Ideale. Das facettenreiche Phänomen steht oft in Wechselwirkung mit den gängigen Auffassungen von Kunst und Künstlertum. Beispielsweise ist die romantische Genieästhetik Grundlage zur Vereinnahmung des Künstlerhauses als Monument und Museum, insbesondere des Ateliers als Kultraum. Nicht selten wird es selbst zum Bildmotiv mit Vorbildcharakter für den Publikumsgeschmack. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert dient es als Katalysator avantgardistischer Konzepte und sozialutopischer Lebensentwürfe, wobei die Grenzen zwischen Architektur, Kunst und Design verwischen. Moderne Ausstellungskünstler und -künstlerinnen verwenden traditionelle Elemente des Hauses als Inspirationsquelle für neue Ausdrucksformen oder inszenieren es als Teil ihres Werks. Das geschärfte Interesse am eigenen Lebensraum zeigt sich gegenwärtig an Hand pointierter Positionen, die darauf abzielen, das Museum, die Galerie selbst in ein “Künstlerhaus” zu transformieren.