Abstract
Wenn jemand realisiert, dass es sich bei einer Figur um eine Kippfigur handelt, kommt es häufig zu einem Ausruf wie etwa: „Jetzt sehe ich es als ...!“ Darin drückt sich die Überraschung darüber aus, dass an einer gleich bleibenden Zeichnung nacheinander zwei unterschiedliche Figuren bemerkt werden können. Dieser Moment des Kippens wird zuerst in Auseinandersetzung mit Ludwig Wittgensteins Überlegungen zu reversiblen Figuren angenähert. Dabei wird die grundlegende Bedeutung des Kippens für die Fähigkeit, aufmerksam und für die Perspektiven Anderer offen zu sein, kenntlich gemacht und auf Fragen nach einer Kultur der Erinnerung bezogen. Ausgehend von Wittgensteins Überlegungen interessiert dabei jenes Kunstschaffen, durch welches das traditionelle Denkmal neu definiert wird. James E. Young fasst dieses Schaffen, das sich in Deutschland und Österreich ab den 1980er Jahren etabliert, unter dem Begriff counter-monuments zusammen. Dabei handelt es sich um Kunst, in der das Erlebnis des „Aspektwechsels“ im Zentrum steht, jener Moment also, in dem – nach Wittgenstein – gleichzeitig Aufmerksamkeit generiert und die zeitliche Struktur von Aufmerksamkeitsprozessen vergegenwärtigt wird. Die aufeinander bezogene philosophische bzw. künstlerische Reflexion auf das Erlebnis des Kippens legt nahe, dass eine Theorie bzw. Kultur der Erinnerung zu kurz greift, solange darin dem konkreten individuellen Erinnern kaum Gewicht beigemessen wird.