Abstract
Die Legende vom Engel und Waldbruder über Gottes Gerechtigkeit, die in einem kurzen Reimgedicht (um 1350 entstanden) und in einer unlängst aufgefundenen, durchaus schlichten Prosaauflösung (1. H. 15. Jh.) überliefert ist, gehört zu den bekanntesten Theodizeetexten des christlichen Erzählraums sowie anderer monotheistischer Religionen. Der deutsche Text (das Reimgedicht), gewiss kein literarisches Meisterwerk, bietet eine interessante Umgestaltung des ihm zugrunde liegenden narrativen Musters. Die Spannung zwischen Erzählschema und punktueller Bearbeitung bzw. die Arbeit am Muster steht im Fokus des Beitrags. Es stellt sich die Frage, ob das narrative, traditionelle Wissen in dieser konkreten Realisierung weiter affirmativ transportiert wird, oder ob sich Brüche zeigen, die vermochten, die normative Aussage in Frage zu stellen.