Funktionen des Erinnerns im erzählten Lebensrückblick älterer Menschen. Narrative Selbstdarstellung und Integration autobiografischer Erfahrungen
Grimm-Montel, Geneviève. Funktionen des Erinnerns im erzählten Lebensrückblick älterer Menschen. Narrative Selbstdarstellung und Integration autobiografischer Erfahrungen. 2012, University of Zurich, Faculty of Arts.
Abstract
I. Zusammenfassung und Überblick Basierend auf der zunehmenden Erkenntnis der Bedeutung des Lebensrückblicks als Entwicklungsaspekt des höheren Lebensalters wird dem Erinnern und dessen Funktionen in der Forschung vermehrt Beachtung geschenkt. So entstand vor einigen Jahren am Psychologischen Institut der Universität Zürich ein Seniorenprojekt, in welchem das Phänomen des Erinnerns und des autobiografischen Erzählens erforscht werden sollte. Elf Personen im Alter zwischen 70 und 92 Jahren mit unterschiedlichem ökonomischem Status, die sich weder psychisch noch physisch in einer akuten Krise befanden, erhielten eine Einladung, in einem offen geführten Interview aus ihrem Leben zu erzählen. Als Leitfaden diente das biografisch-narrative Interview nach Schütze (1983). Die Lebensnarrative wurden sowohl videografiert als auch auf Tonband aufgenommen und anschliessend tran-skribiert. 187 Erzählungen, die bestimmten Kriterien entsprachen, konnten aus diesen Interviews extrahiert werden. 60 dieser Erzählungen aus den vier Themenkreisen Kindheit, Glück, Unglück und kritische Lebensereignisse bilden die Grundlage der vorliegenden Studie. Ziel der Untersuchung war es, festzustellen, ob und welche Erinnerungsfunktionen sich in diesen Narrativen zeigen. Ausgehend von Studienergebnissen zur Erforschung von Erinnerungsfunktionen, aus denen sich die Kategorien integrativ, instrumentell, transmissiv, narrativ, evasiv und obsessiv ergaben und die alle auf empirisch-quantitativen Untersuchungsmethoden basieren, wurde im Gegensatz dazu in der vorliegenden Studie ein qualitativer methodischer Zugang gewählt. Anhand der Inhaltsanalyse von Mayring wurden die Erzählungen und der Kontext, in den sie eingebettet waren, den erwähnten Erinnerungskategorien zugeordnet. Im Sinne einer Methodentriangulation wurden Ergebnisse aus Studien, die auf der Erzählanalyse JAKOB von Boothe, einem psychodynamisch-orientierten qualitativen Untersuchungsinstrument, herangezogen und in einen Zusammenhang mit den Ergebnissen der Inhaltsanalyse gebracht. Dabei wurde folgenden Fragen nachgegangen: 1. Welche Erinnerungsfunktionen stehen im Vordergrund des erzählten Lebensrückblicks älterer Menschen? 2. Gibt es Unterschiede in den Häufigkeiten der Erinnerungsfunktionen zwischen Männern und Frauen? 3. Gibt es Unterschiede in den Erinnerungsfunktionen der verschiedenen Erzähltypen? 4. In welchem Zusammenhang stehen Ergebnisse der Sozialen Integration und der Spielregel aus der Erzählanalyse JAKOB mit bestimmten Erinnerungsfunktionen? 5. Welche narrativen Mittel setzten die Probanden zur Selbstdarstellung ein? 6. Welche narrativen Mittel können als Hinweise auf eine gelungene Integration von Unglückserfahrungen und kritischen Lebensereignissen gedeutet werden? Die Ergebnisse zeigen, dass die Erzählungen sich ausschliesslich den ressourcenorientierten Funktionen zuordnen liessen. Die dysfunktionalen evasiven und obsessiven Erinnerungsformen konnten nicht festgestellt werden. 2 Zudem zeigte sich, dass die integrative und die narrative Erinnerungsfunktion die häufigsten Kategorien waren. Eine detaillierte Sichtweise auf die Unterkategorien dieser Funktionen zeigt sowohl Unterschiede in den Erinnerungsformen zwischen den Geschlechtern, als auch unterschiedliche Funktionen in den diversen Erzähltypen. Die narrative Selbstdarstellung der einzelnen Probanden bildet einen weiteren Schwerpunkt der Auswertungen der Narrative und deren Kontext. Zudem wurde untersucht, aus welchen narrativen Merkmalen sich Hinweise auf die Integration von Unglückserfahrungen und kritischen Lebensereignissen ergeben. Zusammenfassend richtet sich der Fokus auf kommunikative Erfahrungen mit den einzelnen Probanden und Probandinnen. Deren durchwegs positive Lebensbilanzierung lässt auf eine gelungene Integration der Vergangenheit schliessen. Die positive Beurteilung, aus dem eigenen Leben erzählen zu können, lässt ein Bedürfnis nach weiteren Möglichkeiten dieser Art erkennen. In Anbetracht dessen, dass Lebensrückblick und Biografiearbeit zunehmend in Altersinstitutionen Eingang finden, wird am Ende kurz die professionelle Haltung der Anbietenden und die Anforderungen an diese reflektiert. Aufgrund der Tatsache, dass in der Psychotherapie mit älteren Menschen Therapeuten oftmals mit dysfunktionalen Erinnerungsfunktionen der Patientinnen und Patienten konfrontiert sind, entstand aufgrund der Ergebnisse der Entwurf eines Stufenmodells der Erinnerungsfunktionen, welches als Orientierung in der Therapie eine Hilfestellung bieten kann, wie psychisch leidende Menschen zu ressourcenorientierteren Erinnerungsfunktionen finden können. Schlüsselwörter: Alter, Altern, Gerontologie, Erinnerungsfunktionen, Erzählen, Narrativ, Lebensrückblick, autobiografisches Erzählen, narrative Selbstdarstellung, Biografiearbeit, Psychotherapie mit Älteren.
Abstract
I. Zusammenfassung und Überblick Basierend auf der zunehmenden Erkenntnis der Bedeutung des Lebensrückblicks als Entwicklungsaspekt des höheren Lebensalters wird dem Erinnern und dessen Funktionen in der Forschung vermehrt Beachtung geschenkt. So entstand vor einigen Jahren am Psychologischen Institut der Universität Zürich ein Seniorenprojekt, in welchem das Phänomen des Erinnerns und des autobiografischen Erzählens erforscht werden sollte. Elf Personen im Alter zwischen 70 und 92 Jahren mit unterschiedlichem ökonomischem Status, die sich weder psychisch noch physisch in einer akuten Krise befanden, erhielten eine Einladung, in einem offen geführten Interview aus ihrem Leben zu erzählen. Als Leitfaden diente das biografisch-narrative Interview nach Schütze (1983). Die Lebensnarrative wurden sowohl videografiert als auch auf Tonband aufgenommen und anschliessend tran-skribiert. 187 Erzählungen, die bestimmten Kriterien entsprachen, konnten aus diesen Interviews extrahiert werden. 60 dieser Erzählungen aus den vier Themenkreisen Kindheit, Glück, Unglück und kritische Lebensereignisse bilden die Grundlage der vorliegenden Studie. Ziel der Untersuchung war es, festzustellen, ob und welche Erinnerungsfunktionen sich in diesen Narrativen zeigen. Ausgehend von Studienergebnissen zur Erforschung von Erinnerungsfunktionen, aus denen sich die Kategorien integrativ, instrumentell, transmissiv, narrativ, evasiv und obsessiv ergaben und die alle auf empirisch-quantitativen Untersuchungsmethoden basieren, wurde im Gegensatz dazu in der vorliegenden Studie ein qualitativer methodischer Zugang gewählt. Anhand der Inhaltsanalyse von Mayring wurden die Erzählungen und der Kontext, in den sie eingebettet waren, den erwähnten Erinnerungskategorien zugeordnet. Im Sinne einer Methodentriangulation wurden Ergebnisse aus Studien, die auf der Erzählanalyse JAKOB von Boothe, einem psychodynamisch-orientierten qualitativen Untersuchungsinstrument, herangezogen und in einen Zusammenhang mit den Ergebnissen der Inhaltsanalyse gebracht. Dabei wurde folgenden Fragen nachgegangen: 1. Welche Erinnerungsfunktionen stehen im Vordergrund des erzählten Lebensrückblicks älterer Menschen? 2. Gibt es Unterschiede in den Häufigkeiten der Erinnerungsfunktionen zwischen Männern und Frauen? 3. Gibt es Unterschiede in den Erinnerungsfunktionen der verschiedenen Erzähltypen? 4. In welchem Zusammenhang stehen Ergebnisse der Sozialen Integration und der Spielregel aus der Erzählanalyse JAKOB mit bestimmten Erinnerungsfunktionen? 5. Welche narrativen Mittel setzten die Probanden zur Selbstdarstellung ein? 6. Welche narrativen Mittel können als Hinweise auf eine gelungene Integration von Unglückserfahrungen und kritischen Lebensereignissen gedeutet werden? Die Ergebnisse zeigen, dass die Erzählungen sich ausschliesslich den ressourcenorientierten Funktionen zuordnen liessen. Die dysfunktionalen evasiven und obsessiven Erinnerungsformen konnten nicht festgestellt werden. 2 Zudem zeigte sich, dass die integrative und die narrative Erinnerungsfunktion die häufigsten Kategorien waren. Eine detaillierte Sichtweise auf die Unterkategorien dieser Funktionen zeigt sowohl Unterschiede in den Erinnerungsformen zwischen den Geschlechtern, als auch unterschiedliche Funktionen in den diversen Erzähltypen. Die narrative Selbstdarstellung der einzelnen Probanden bildet einen weiteren Schwerpunkt der Auswertungen der Narrative und deren Kontext. Zudem wurde untersucht, aus welchen narrativen Merkmalen sich Hinweise auf die Integration von Unglückserfahrungen und kritischen Lebensereignissen ergeben. Zusammenfassend richtet sich der Fokus auf kommunikative Erfahrungen mit den einzelnen Probanden und Probandinnen. Deren durchwegs positive Lebensbilanzierung lässt auf eine gelungene Integration der Vergangenheit schliessen. Die positive Beurteilung, aus dem eigenen Leben erzählen zu können, lässt ein Bedürfnis nach weiteren Möglichkeiten dieser Art erkennen. In Anbetracht dessen, dass Lebensrückblick und Biografiearbeit zunehmend in Altersinstitutionen Eingang finden, wird am Ende kurz die professionelle Haltung der Anbietenden und die Anforderungen an diese reflektiert. Aufgrund der Tatsache, dass in der Psychotherapie mit älteren Menschen Therapeuten oftmals mit dysfunktionalen Erinnerungsfunktionen der Patientinnen und Patienten konfrontiert sind, entstand aufgrund der Ergebnisse der Entwurf eines Stufenmodells der Erinnerungsfunktionen, welches als Orientierung in der Therapie eine Hilfestellung bieten kann, wie psychisch leidende Menschen zu ressourcenorientierteren Erinnerungsfunktionen finden können. Schlüsselwörter: Alter, Altern, Gerontologie, Erinnerungsfunktionen, Erzählen, Narrativ, Lebensrückblick, autobiografisches Erzählen, narrative Selbstdarstellung, Biografiearbeit, Psychotherapie mit Älteren.
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