Abstract
Im Zentrum des Artikels steht die Novelle Avrohmche Nattergal (1871) von Meır Aron Goldschmidt. Im Rahmen dieser Novelle entwickelt Goldschmidt sehr komplexe Überlegungen zu einer jüdischen Poetik, die er in Auseinandersetzung mit Henrik Hertz’ Nationaldrama Svend Dyrings Huus (1837) und Georg Brandes kritischen Uberlegungen zu einer jüdischen Literatur profiliert. Dabei lässt sich Goldschmidt schon sehr früh auf eine kritische Reflexion der spezifischen Medien- und Schriftpraktiken ein, wel- che die Konstitution nationaler Gemeinschaften begleiten. Er erkennt mit anderen Worten, inwiefern gerade die dänische Nationalromantik an einen Kult des mündlichen Wortes gebunden ist, der in seiner Schriftkritik deutlich antisemitisch profiliert ist. Die Novelle Goldtschmidts lebt dagegen von einer bewussten Inszenierung ihrer Buchstäblichkeit, was nicht zuletzt in ihrer hohen stilistischen und rhetorischen Qualität zum Ausdruck kommt. Insgesamt münden Goldschmidts Überlegungen zu einer jüdischen Poetik auf diese Weise in eine sehr sprachbewusste und somit erstaunlich moderne Erzählweise.