Abstract
Israels systematische Bedürfnisse waren in seiner Spätzeit maßlos. Diese These ist bis anhin vor allem an Prosatexten erprobt worden, weniger dagegen an Psalmen, Gebeten und Doxologien. Dies geschieht im vorliegenden Buch. In ihm wird nachgewiesen, dass sich diese Gattungen besonders gut zur Verdichtung, Vertiefung und Systematisierung überkommenen Glaubensgutes eignen und deshalb in der Spätzeit des Alten Testaments auch gerne verwendet werden. Wann dieser Prozess genau eingesetzt hat, lässt sich nicht bestimmen.
Die vorliegende Untersuchung besteht vor allem aus Exegesen und muss es auch: In jedem der behandelten Texte lassen sich andere Tendenzen der Systematisierung beobachten. Zu einer umfassenden Systematisierung ist die jüdische Theologie damals allerdings noch nicht vorgestoßen.
Bei den untersuchten Texten handelt es sich um folgende: Neh 9, Dan 9; Esr 9; Neh 1; 1Chr 29; IIChr 20; IReg 8; IISam 7; Jer 32; Ps 136; die Amosdoxologien; die hymnischen Einsprengsel im Danielbuch; das Lied der Hanna, den Psalm und die letzten Worte Davids (Isam 2; IISam 22; 23); Dtn 32; 33; Jdc 5; Ex 15; Jes 12; IChr 16; Ps 33; IIIf; 135; 144; 146; 130; 119; 117; 19.
Drei – exemplarisch herausgegriffene – Resultate dieser Exegesen: Ps 33 enthält eine alttestamentliche Dogmatik in nuce. Jes 13 bildet die Zusammenfassung des (ganzen!) Jesajabuches, das nach dem Verfasser dieses Psalmes einheitlich und widerspruchslos ist. Hannalied, Davids Psalm und letzte Worte enthalten eine weisheitlich-prophetische Interpretation der Samuelbücher, möglicherweise sogar des ganzen deuteronomistischen Geschichtswerkes; David wird in ihnen indirekt als Paradigma für den einzelnen Formen dargestellt.
Gerhard von Rad verdanken wir eine klassisch gewordene Verhältnisbestimmung von Gotteslob und Reflexion: „Im Rühmen und Feiern Gottes war Israel immer stärker als in der theologischen Reflexion“. Dieser Satz stimmt, muss aber durch die folgenden beiden ergänzt und ausgelegt werden: Theologische Reflexion hat Israel im Verlaufe seiner Geschichte immer stärker dazu geführt, Rühmen und Feiern Gottes in seinen Schriften einen zentralen Platz zuzuweisen. Diese Reflexion erfolgt bevorzugt in Gotteslob und -dank, in Psalmen, Doxologien und Gebeten.