Abstract
Umverteilen oder Bewahren? Dieser Konflikt prägte die Geschichte des Schweizer Stipendienwesens. Sie ist eine Geschichte des Umgangs mit sozialer Ungleichheit und dem zwiespältigen Verhältnis der Schweiz zu sozialem Aufstieg durch Bildung. Diese Arbeit erzählt diese Geschichte für den Zeitraum 1917-2004 anhand eines breiten Quellenbestandes und verschiedener methodischer Ansätze. Im Zentrum steht das «meritokratische Dilemma». Stipendien können Ungleichheiten im Bildungszugang abbauen. Sie können diese aber auch als Resultat eines fairen Leistungswettbewerbs legitimieren. Diese Arbeit zeigt: Trotz einem substanziellen Ausbau der Stipendienleistungen (vor allem in den 1960ern), einer Professionalisierung der Vergabe und der Herausbildung einer Philosophie der gezielten Umverteilung scheiterten alle Versuche, mithilfe von Stipendien die soziale Struktur der Schweiz aufzubrechen. Eine zentrale Rolle spielten dabei ökonomische, föderalistische und anti-individualistische Argumente. Die Verfechter:innen einer bewahrenden Bildungspolitik stellten Leistungsprinzip, Subsidiarität und Bewahrung der Familie in den Dienst eines graduellen sozialen Aufstiegsmodells über mehrere Generationen. Stipendien ermöglichten so unzähligen Bezüger:innen den Zugang zu Bildung. Ihr gescheiterter Ausbau ist jedoch auch Ausdruck eines diskursiven, politischen und medialen Kampfes um die Aufrechterhaltung einer Illusion: der, einer klassenlosen Gesellschaft anzugehören.